SPONTAN
UND UNGEFILTERT

Edition 13

Ein Tag im Juni

Draussen gedeihen die Reben und die Sonne scheint heiss. Endlich ist der Frühsommer da. Das Team hat schon um sieben Uhr mit dem Einschlaufen begonnen. Die jungen Triebe werden zwischen den Drähten hindurchgeführt und befestigt. Das schafft Ordnung und schützt zudem vor Windbruch.

 

Während das Team sich draussen um den Wuchs der Reben kümmert, steht die Arbeit in Keller und Büro nicht still – im Gegenteil. Draussen vor der Trotte stehen noch einige Festbänke, am Abend zuvor gab es eine Degustation. Aufgeräumt ist noch nicht. «Es riese Puff überall», seufzt Alain, als er sich einen Kaffee aus der Maschine lässt und mit dem Büroteam bespricht, was heute noch ansteht.

Zur Natur zurück

Bevor es an den Schreibtisch geht, schaut Alain noch bei den Hausreben vorbei. Er will sehen, wie das Team vorankommt und die Reben begutachten. Es hat viel Regen gegeben in den letzten Wochen und die Bedingungen für Infektionen mit Pilzsporen waren gut. In diesen Wochen rund um die Blüte steht jeden Tag viel auf dem Spiel. Trotzdem strahlt Alain wie immer Ruhe aus. Er kann sich auf sein Team und seine Erfahrung verlassen.

Die Hausreben, direkt hinter den Gebäuden der Schwarzenbachs gelegen, haben eine besondere Rolle. Zum einen werden sie seit zehn Jahren biologisch bewirtschaftet, zum anderen soll hier nach den Wünschen des visionären Winzers eine Versuchsparzelle entstehen. Eigentlich ist ja heute keine Zeit, aber Visionen warten nicht, bis wir uns die Zeit nehmen. 

Alain

«Wir zwängen die Rebe in eine Monokultur, die nicht ihrem natürlichen Lebensraum entspricht.»

Luca, der Önologe im Team kommt auf Alain zu. Die beiden haben die Arbeiten für die nächsten Tage im Kopf, aber auch dann gibt es manchmal noch Änderungen im Arbeitsplan. 

Die ersten zehn Meter der Parzelle sind mit jungen Obstbäumen bepflanzt. Mirabelle und alte Apfelsorten, wie Usterapfel. Die beiden prüfen die Fruchtansätze und die Blätter. Auch der Baumschnitt wird besprochen. 

Ein persönliches Projekt von Luca, dem er sich in diesem Winter das erste Mal gewidmet hat. Tüfteln und ausprobieren ist Teil der DNA des Teams und wird aktiv gefördert. Alain blickt über die gesamte Fläche Richtung Rapperswil. Ein Hektar wird hier mit Räuschling, Riesling-Sylvaner und Chardonnay bewirtschaftet. Auf einem Teil davon plant er eine Agroforst-Versuchsfläche. «Wir zwängen die Rebe in eine Monokultur, die nicht ihrem natürlichen Lebensraum entspricht. Diese Art der Kultivierung macht sie anfälliger für Krankheiten.» Fast liebevoll und voller Respekt spricht er von der Rebe. Ein Gemischter Satz schwebt ihm vor, mit alten Sorten wie Räuschling, Completer, Bondola und Trollinger. Dazwischen Bäume, zum Beispiel Eichen und Edelkastanien.

«Als ich klein war stand hier am Hof ein riesiger Baum mit einer Rebe, die an ihm hochgewachsen ist. Die hat bestimmt eine Tonne Trauben getragen pro Jahr, ohne dass wir uns hätten um sie kümmern müssen.»

«Man weiss schon lange, dass Pflanzen miteinander kommunizieren», erläutert Alain weiter, der nun ganz vertieft ist und Luca seine Überlegungen mitteilt. «Die positiven Effekte aus einer Symbiose zwischen Bäumen und unseren Rebstöcken können wir nutzen. Eifach luege was passiert.» Für Alain geht nachhaltige Produktion weit über den reduzierten Pflanzenschutz hinaus. Er möchte schauen, welche Effekte es auf die Reben und die Qualität der Trauben hat, wenn er die Natur wieder zu ihren Ursprüngen zurückführt.

Alain

«Nachhaltigkeit ist eine Grundhaltung in unserem Schaffen – kein Zertifikat.»

Zeit für Experimente

Die Rebarbeiten laufen nach Plan, die Pflanzen sehen gut aus. Mit den Ideen zum Agroforst im Kopf eilt Alain zurück ins Haus. Man merkt ihm an, dass für ihn die Essenz des Berufs genau darin liegt: Das Arbeiten im Rhythmus des Jahres und das gemeinsame Schaffen mit einem engagierten Team, das ihm den Raum gibt, Schwarzenbach Weinbau und seine Ideen von gutem Wein voranzutreiben.

Noch geht es nicht ins Büro, sondern direkt ins Labor. Später hat er eine Sitzung mit Marilen. Sie besprechen im Zwei-Wochen-Rhythmus alles rund um Personal und Organisation, stimmen sich aber auch über Themen wie Vertrieb und Produktion ab. Dafür muss er noch etwas vorbereiten.

Guter Wein ist geprägt von seinem Terroir und der Qualität der Trauben aus dem Rebberg. Er entsteht aber auch durch die Hand des Winzers und der Winzerin im Keller. 2022 blieb ein Teil der Räuschling-Trauben aus der Spitzenlage Seehalden im Rebberg, da am Tag der Wümmet bis zum Abend nicht alles geholt werden konnte. Von aussen betrachtet nichts Besonderes und keine Notiz wert, für Alain jedoch Anlass für eines seiner kleinen Experimente. Er liess die Trauben ganze zehn weitere Tage hängen. Die 300 kg wurden gepresst und in einem gebrauchten Pinot-Noir-Barrique, das zuvor ausgehobelt wurde, spontan vergoren.

Jetzt im Juni 2025 ist der Wein soweit, dass er seinen Schöpfer überzeugt. «Zwischendurch war er nicht so cool.», erklärt er und unterstreicht, wie viel Geduld es in seinem Metier braucht, um etwas Grosses zu schaffen. 

Aber zurück ins Hier und Jetzt: Alain analysiert den Alkohol des neuen Weins, denn später will er ihn mit Marilen degustieren. Bei der Analyse verlässt sich Alain gerne auf die traditionelle Methode mit dem Ebulliometer. Er wäre nicht Alain, hätte er nicht auch ein modernes Analysegerät, aber auch seinen Lernenden bringt er die manuelle Bestimmung des Alkoholgehalts bei.

Für ihn ist wichtig, dass man die chemischen Prozesse versteht. Nur dann kann man eingreifen, die feinen Stellschrauben drehen, die es braucht, um guten Wein zu machen. Es ist spannend heute. Während der Winzer beim Einsatz von Reinzuchthefe eine grössere Stabilität und Kontrolle in der Weinbereitung hat, birgt der Einsatz der Wildhefen mit Spontanvergärung auch Risiken. Risiken für Weinfehler, unerwünschte Aromen und den Abbruch der Gärung. «De Siech hät fascht 13 Volt.», stösst es aus ihm heraus.

Visionen warten nicht

Aber es gibt nicht nur das Innovationsprojekt «Räuschling nature». Im Keller wartet der Grundwein vom Jahrgang 2024 auf die Kreation eines neuen Schaumweins. Zwei bis drei Jahre sollen die 800 Flaschen auf der Hefe bleiben und dann die Sélection-Linie ergänzen. Ein lang gehegter Traum.

Dafür müssen die passenden Flaschen ausgewählt werden. Alain hat eine konkrete Vorstellung. «Die hier hat eine schöne Farbe», sagt er, nun an seinem Schreibtisch im Büro. Er hält die Flasche gegen das Licht, das hier das richtige Spektrum hat und das natürliche Licht draussen simuliert. In den Naturwissenschaften macht ihm so schnell keiner was vor. Neben dem Aussehen ist aber auch das Gewicht, beeinflusst durch die Glassstärke, entscheidend.

Bei der Schaumweinproduktion muss die Flasche einem erheblichen Druck standhalten, damit es sie «nicht verjagt», wenn die zweite Gärung in der Flasche stattfindet, erklärt Alain. «An dieser Stelle haben wir die grössten CO2-Emissionen. Das Einschmelzen vom Altglas benötigt die meiste Energie, deshalb lohnt es sich, auch hier ein Auge drauf zu werfen.» Alain möchte nachhaltig arbeiten. Ein Grossteil des Stroms kommt aus einer Photovoltaik-anlage, geheizt wird mit Holz aus eigenem Wald.

Marilen kommt durch die Tür. Direkt steigt sie in die Diskussion um die Flasche mit ein. Auf dem vollen Schreibtisch weckt aber noch etwas anderes ihre Aufmerksamkeit. Eine gefüllte Schaumweinflasche aus Weissglas mit kräftig rotem Inhalt, ohne Etikette. «Was ist das eigentlich?», unterbricht sie Alain. «Geile Farbe, oder? Das ist Traubensaft, verdünnt mit Wasser und aufgespritzt mit Sprudel, ein alkoholfreies Apérogetränk. Das sollten wir mal probieren – ist ein Muster.»

Die Kreation eines alkoholfreien Getränks ist schon länger auf der Agenda. Wenn bei Schwarzenbach Weinbau ein neues Produkt entsteht, muss es richtig gut werden. Keine halben Sachen: Degustieren, Testen, Marktanalyse. Marilen gefällt die knallige Farbe des Musters. «Divico kann ich mir gut vorstellen, der hat die richtige Farbintensität», analysiert sie treffend. Die beiden begegnen sich fachlich auf Augenhöhe und teilen den hohen Anspruch. Marilens Steckenpferd ist auch das Marketing. «Ein gutes Apérogetränk ohne Alkohol, mit hoher Qualität und einem reduzierten Design. Das kommt an», ist sie sich sicher. Auch die gehobene Gastronomie setzt mittlerweile neben der klassischen Weinbegleitung auf alkoholfreie Pairings als Alternative.

Spontan und ungefiltert

Im Barriquekeller steht ganz unauffällig ein Fass mit der Aufschrift «Räuschling 2022». «2022?», fragt Marilen, die ihre Nase tief in das Glas hält, das Alain zuvor mit dem Probeheber gefüllt hat. Auch wenn der Räuschling hier bereits seit fast drei Jahren reift, weiss Marilen erst seit kurzem von diesem Projekt. Der Tüftler verrät seine Projekte nicht immer gleich und manche erblicken auch niemals das Licht der Welt. «Recht stark in der Nase», ist der erste Kommentar von Marilen. «Bestimmt fast 13 % Alkohol.» Da braucht sie keine Analyse aus dem Labor um das zu erkennen.

In der Wortwahl ungewöhnlich für Marilen entfährt es ihr: «Recht geil!» Der Räuschling im Glas hat eine voll-gelbe Farbe, was für die Traubensorte eher ungewöhnlich ist. «Vielleicht hat er was vom Fass abbekommen», meint Alain, der vor allem von der Aromatik beeindruckt ist. Die spontane Vergärung und der Ausbau haben die fruchtigen Primäraromen in den Hintergrund gedrängt. Im Vordergrund sind die Sekundäraromen des Weinausbaus. Irgendetwas lässt Marilen noch zögern, eine Komponente in der Nase kann sie noch nicht ganz zuordnen. Sie möchte als Vergleich den jungen 2024er Räuschling Seehalden degustieren.

Alain

«Ein Most, der nicht gefallen will, sondern Haltung zeigt.»

Aus dem grossen Holzfass lässt Alain etwas in ein zweites Glas. «Wow, was für ein Grapefruitaroma. Unglaublich ausgeprägt diese Aromatik.» Das ist der Räuschling, wie wir ihn kennen, mit der Dominanz der primären Fruchtaromen. Marilen gibt wenig Räuschling Seehalden in das Glas mit dem 2022er Räuschling. «Mal sehen, wie er sich in der Nase verändert», meint Marilen und reicht das Glas gespannt weiter an Alain. Der prüft die Nase und degustiert. Gefällt, ist ihm aber zu gefällig.

Für Alain muss dieses Experiment nicht gefallen. «Vielleicht muss er gar nicht zu gut werden», schmunzelt er. «Die Ausdrucksstärke im Gaumen und das für den Räuschling Ungewohnte machen ihn erst richtig spannend, passt für mich.» Nun ist er wieder ganz nah an «seinem Wein» und die beiden – Wein und Schöpfer – sind sich einig. «Räuschling Alain» ist bereit zum Abfüllen. Über den Namen des Weins müssen wir auch nicht mehr diskutieren.

Der letzte Schliff

Mit dem Abfüllen selbst ist es noch nicht getan. Ein neuer Wein braucht eine Etikette. Das Team arbeitet seit vielen Jahren mit der Zürcher Illustratorin Janine Wiget zusammen, die bereits heute die Jahrgangs-sujets der Sélection-Linie zeichnet. Die Etikette für den Räuschling Alain soll den Geist des Weins symbolisieren. Ein Wein, der die Handarbeit und das kreative Schaffen von Alain, seine unkonventionelle Herangehensweise und den Mut eines kreativen Praktikers unterstreicht.

Alain und Marilen sitzen über den Entwürfen und diskutieren. «Variante eins nimmt die Ästhetik eines von Hand angeschriebene Fassmusters auf. Das gefällt mir sehr gut. Reduziert auf das Wesentliche», beginnt Marilen. «Bei Variante zwei bleibt das Grundgerüst der Etikette erhalten, aber die Typografie wird anders, roher. Zudem bekommt es mit dem Zitat eine sehr persönliche Note.» Marilen findet die richtigen Worte und präsentiert die Entwürfe als wären es ihre eigenen. Eigentlich gefallen ihnen alle drei Entwürfe. Auch die dritte Variante mit einer Skizze von Alain selbst.

Es wird schwer werden sich zu entscheiden. Da müssen beide nochmal eine Nacht drüber schlafen. Welcher es wohl wird?

Räuschling Alain 2022
AOC Zürichsee, CHF 48.00, 75 cl
Nur solange der Vorrat reicht.
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